Auf den Spuren der Henkerstochter rund um Oberammergau

Eine Wanderung und Lesung mit Oliver Pötzsch vom 26.05.2019

Auf der Fahrt denke ich noch einmal zurück:

Vor vier Jahren kaufte ich meinen ersten historischen Roman von Oliver Pötzsch. Ich hatte schon viel von seiner Henkerstochter-Saga gehört und wusste, dass deren Hauptpersonen in Schongau beheimatet sind, der Stadt, in der ich aufs Gymnasium ging. Auf dem Rückweg von einer Geschäftsreise stieß ich bei Schmitt & Hahn am Nürnberger Hauptbahnhof auf „Die Henkerstochter und das Spiel des Todes“, den sechsten Band der Reihe. Ich las den Text auf dem Buchrücken und erfuhr, dass es um die Aufklärung eines Todesfalls bei den Proben zu den berühmten Passionsspielen in Oberammergau im Jahr 1670 geht. Sofort wurde mir klar, dass heute meine Abenteuer mit der Familie Kuisl beginnen würden. Ich kaufte das Buch und fing im Zug sofort an zu lesen.

Seitdem habe ich alle Henkerstochter-Bücher gelesen. Heute schließt sich für mich der Kreis, da ich Oliver Pötzsch zum ersten Mal live erleben und mit ihm die Spuren der Henkerstochter rund um Oberammergau erkunden werde. Es wird ein literarischer Ausflug werden, da Oliver nicht nur ein begnadeter Autor, sondern auch ein leidenschaftlicher Wanderer ist. Ich freue mich darauf in die Geschichte des Buches und der Umgebung einzutauchen. Organisiert wurde die Veranstaltung von der ortsansässigen und sympathischen Buchhandlung Schwarz.

Weißes Gebäude mit grünen Fensterläden, Lüftlmalerei und einer Terrasse mit roten Sonnenschirmen davor
Hotel Alte Post in Oberammergau

Als ich später mit meiner Frau im Hotel Alte Post in Oberammergau sitze, dem Treff- und Ausgangspunkt für die heutige Lesung und Wanderung, sehe ich auf Tischen Stapel von Büchern von Oliver Pötzsch. Ich finde es beeindruckend, was er schon alles verfasst hat.

Stapel aller Bücher der Henkerstochter-Saga auf Tischen
Auslage der Henkerstochter-Saga

In der Speisekarte lese ich, dass das Hotel Alte Post erstmals 1612 erwähnt wurde und vermutlich das älteste Gasthaus des Dorfes ist. Bereits im Jahre 1905 erhielt es einen Telefonanschluss, den damals einzigen im gesamten Landkreis neben dem der Polizeistation in Garmisch. Der Hunger lässt mich umblättern. Bei den bayrischen Schmankerln bleibe ich hängen. Ofenfrischer Schweinsbraten mit Ettaler Dunkelbiersauce, Kartoffelknödel und Blaukraut. Wer kann da schon widerstehen? Ich jedenfalls nicht.

Kurz nachdem unser Essen serviert wird, kommt auch Oliver Pötzsch mit der Gruppe vom Vormittag zurück. Der Raum füllt sich mit Menschen, Lärm und Leben. Der Schweinsbraten ist bald verspeist. Nach einem kurzen Aufbau begrüßt uns der Schöpfer der Henkerstochter-Saga und stellt sich vor. Er ist seit etwa zehn Jahren hauptberuflich als Autor tätig, hat allerdings schon zu seiner Abiturzeit seinen ersten Roman geschrieben. Der hat aber noch nicht das Licht der Öffentlichkeit erblicken dürfen und befindet sich angeblich noch im Giftschrank zu Hause.

Oliver Pötzsch sitzt an einem Tisch und liest aus seinem Buch Die Henkerstochter und das Spiel des Todes
Lesung im Hotel Alte Post

Wir erhalten eine kurze Einführung in die Handlung des Romans. Simon Fronwiesers Sohn Peter soll in Oberammergau zur Schule gehen. Dort wird der Jesus-Darsteller des Passionsspiels gekreuzigt. Zusammen mit dem Schongauer Henker Jakob Kuisl und dessen Tochter Magdalena begibt sich Simon auf die Spur des Mörders.

Oliver Pötzsch erzählt, dass er sich seine Geschichten immer ausdenkt, diese aber in ein wahres historisches Umfeld einbettet. Er liest eine Passage vor, die eindrucksvoll den besonderen Charakter von Oberammergau vermittelt. Die geografischen Gegebenheiten formten die Menschen und ihre Tätigkeiten. Da aufgrund der Nähe zu den umliegenden Bergen schon immer wenig Platz vorhanden war, gibt es in Oberammergau kaum Landwirtschaft. Das zwang die Oberammergauer schon früh dazu, kreativ zu werden. Die nahen Wälder und die Lage an einer Pilgerstraße führten zu dem heute weltberühmten Schnitzhandwerk, das sich in seinen Anfängen auf Schnitzereien für die Pilger konzentrierte.

Nach der kurzen Passage stellt uns Oliver Pötzsch auch seine mitgebrachte Apotheke vor. Wer eines seiner Bücher gelesen hat, der kennt die detaillierten Beschreibungen von Arzneien aus der damaligen Zeit. Diese machen die Ereignisse noch anschaulicher und helfen dem Leser, sich in die Zeit der Henkerstochter hineinzuversetzen. Neben der Kräuterkunde sind seine Ausführungen zur so genannten Dreckapotheke besonders eindrucksvoll. Unglaublich, was die Menschen damals so alles verwendet haben: Schädelmehl, Mumia, Armesünderfett. Die Namen geben bereits einschlägige Hinweise auf die wesentlichen Ingredienzen.

Etwas, das wir risikolos ausprobieren können, ist der von seinem Vater selbst hergestellte Theriak, dessen Zutaten aus dem eigenen Garten stammen. Den muss ich probieren.

Schwarze Flasche mit Totenkopf auf Tablett und Gläsern
Selbstgemachter Theriak aus dem Hause Pötzsch

Die Flüssigkeit wärmt mir angenehm die Kehle und ich fühle mich bereit für die bevorstehende Wanderung. Da auch in den Henkerstochter-Büchern immer wieder Theriak getrunken wird, verschmelze ich so langsam mit der Geschichte.

Dann geht es los. Wir verlassen das Hotel Alte Post in Richtung Süden entlang der Dorfstraße und biegen dann links in die Schnitzlergasse. Nach wenigen Minuten stehen wir vor der Pfarrkirche St. Peter und Paul.

Oliver Pötzsch steht vor der Friedhofsmauer und erklärt der Gruppe den Ursprung des Passionsspiels
Vor der Pfarrkirche St. Peter und Paul

Hier ist die Wiege der weltberühmten Passionsspiele. Im Jahre 1633 legten die Oberammergauer das schicksalsträchtige Gelübde ab, dass sie alle 10 Jahre die Passionstragödie halten würden, sollten sie von weiteren Todesfällen durch die damals verbreitete Pest verschont bleiben. Und da sie tatsächlich verschont blieben, wurden 1634 erstmals die Passionsspiele aufgeführt. Und zwar genau hier auf dem Friedhof über den frischen Gräbern der Pesttoten. Die Grabsteine wurden einfach vor dem Spiel flach hingelegt und im Anschluss wieder aufgerichtet. Das liebt Oliver Pötzsch am katholischen Bayern: Feiern und Religiöses geht hier einfach zusammen.

Wir gehen weiter und folgen dem Weg Am Mühlbach, überqueren die Eugen-Papst-Straße und stehen dann am Ufer der Ammer.

Mit dunkelgrünen Bäumen bewachsender Berg und die türkisfarbene Ammer, deren grünes Ufer und weißen Häusern davor
Blick vom östlichen Ufer der Ammer auf den Kofel

Hier erzählt uns Oliver Pötzsch etwas über das Verhältnis von Mensch und Natur in der damaligen Zeit. Die Natur war der Feind des Menschen. Sie war gegen einen. Man musste sie zähmen. So etwas wie Wanderlust war damals kaum vorstellbar. Genauso wenig, wie dass man in seiner Freizeit auf Berge gestiegen ist. Kein Wunder denke ich, hat man doch meistens hart arbeiten müssen und sich in der wenigen freien Zeit bestimmt nicht noch körperlich verausgaben wollen.

Wir überqueren die Brücke der König-Ludwig-Straße, biegen dann gleich wieder rechts ab und gehen entlang der Ammer, die sowohl dem Ort als auch dem Tal seinen Namen gegeben hat. Bald biegen wir links ab und gehen durch ein kleines Waldstück. Wir treffen wieder auf die König-Ludwig-Straße, biegen auf diese rechts ab und gehen bergauf bis wir an die Kreuzigungsgruppe gelangen.

Denkmal aus Kehlheimer Marmor, das Jesus am Kreuz, Maria und Johannes zeigt
Kreuzigungsgruppe

Dieses Denkmal wurde von König Ludwig II. gestiftet, nachdem er 1871 eine eigene Vorstellung des Oberammergauer Passionsspiels besuchte und davon gerührt und erschüttert war. Die Kreuzigungsgruppe besteht aus Kehlheimer Marmor und war seinerzeit das größte Steindenkmal der Welt.

Einige Häuser von Oberammergau zwischen Bäumen im Vordergrund und mit Bäumen bewachsenen Bergen im Hintergrund
Blick von der Kreuzigungsgruppe auf Oberammergau

Wir folgen dem Weg hinter der Kreuzigungsgruppe und gelangen nach einigen Minuten zum Rätselweg. Hier begegnen wir kleinen Engelsfiguren, die in der Natur eine neue Heimat gefunden haben. Warum diese hier sind, kann keiner so genau erklären. Es ist auf jeden Fall rätselhaft.

Weiße Engelsfigur mit Flöte, die in einer mit Moos bewachsenen Umgebung steht
Engel mit Flöte
Weiße Engelsfigur, die in einer mit Moos bewachsenen Umgebung sitzt
Engel
Vier weiße Engelsfiguren, die an ihren kleinen Tischen sitzen, und einer, der an einer Tafel steht, in einer mit Kleeblättern und Moos bewachsenen Umgebung
Engel in der Schule
Weg durch Wald mit Laubbäumen
Auf dem Rätselweg

Unser nächster Halt ist der Malenstein. Hier gibt es einiges zu erzählen. Zunächst müssen wir aber auf dem Stein den Römerkopf finden. Danach erfahren wir auch einiges über die so genannten Venedigermandl, die hier ihre mysteriösen Zeichen im Fels hinterlassen haben. Eine Art Geheimsprache in der damaligen Zeit? Der Malenstein hat auch seinen Weg in den Henkerstochter-Roman gefunden. Hier hat Oliver Pötzsch eine Höhle gefunden, in der sich Peter während seiner Abenteuer versteckt. Ich erinnere mich noch gut an diese spannenden Szenen.

Malenstein

Wir gehen weiter und kommen an einem weiteren Felsen, dem Ambronenstein vorbei. Auf diesem ist das Wappen des Bürgervereins „Die Ambronen“ eingeritzt. Die Mitglieder dieses Vereins haben sich nach dem gleichnamigen keltischen Stamm der Ambronen benannt und trafen sich zu ihrem Stammtisch im ehemaligen Gasthaus Ambronia (heute Maxbräu) in Oberammergau. Als ich mir das Wappen etwas genauer ansehe und ein Foto mache, kommt die Sonne heraus und lässt Stein und Wappen in Licht erscheinen. Ein magischer Moment!

Hellgrauer, teilweise mit Moos bewachsener Fels im Sonnenschein
Ambronenstein

Unser nächster Halt ist die Mariengrotte, wo uns Oliver Pötzsch zeigt und erklärt, was ein Charivari ist.

Statue Marias in weißem und hellblauem Gewand in einer Grotte, die mit Blumen, Rosenkränzen und Grabkerzen geschmückt ist
Mariengrotte

Dann machen wir uns auf den Weg zum Döttenbichl. Ich komme mit Oliver Pötzsch ins Gespräch. Wir haben einen gemeinsamen Bekannten: Helmut Schmidbauer, Kreisheimatpfleger von Weilheim-Schongau. Er hat Oliver Pötzsch dazu bewegt, einen Roman über die Henkerstochter zu schreiben und ihn dabei mit einigen hilfreichen Details versorgt. Herr Schmidbauer war auch mein Geschichtslehrer, bei dem ich meine mündliche Abiturprüfung abgelegt habe. Ein weiterer Kreis schließt sich.

Oliver Pötzsch führt die Gruppe durch Wald mit vielen Laubbäumen
Auf dem Weg zum Döttenbichl

Auf dem Döttenbichl treffen wir neben der keltischen auch auf römische Geschichte. Hier wurde eine Vielzahl an Metallfunden ausgegraben. Wahrscheinlich waren die Römer hier in Kämpfe mit ortsansässigen Kelten verwickelt. Keltische Funde deuten auf einen Opferplatz hin. Hier verschmelzen also in gewisser Weise zwei Kulturen, die man hier auf den ersten Blick vielleicht gar nicht vermutet hätte. Dann liest Oliver Pötzsch noch einmal eine letzte Passage aus „Die Henkerstochter und das Spiel des Todes“ vor.

Oliver Pötzsch steht im Wald auf dem Döttenbichl und liest aus seinem Buch Die Henkerstochter und das Spiel des Todes
Lesung auf dem Döttenbichl

Dann geht es wieder zur Ammer und zurück in Richtung Oberammergau. Bald heißt es Abschied nehmen von Oliver Pötzsch und der Wandergruppe. Auf dem Malensteinweg folgen wir dem Lauf der Ammer. Wir überqueren wieder die Brücke an der König-Ludwig-Straße und biegen rechts in die Eugen-Papst-Straße.

Kirche, die eine gelb-weiße Blumenwiese, die Dächer von Oberammergau und die dahinterliegenden Berge überragt
Blick von der Eugen-Papst-Straße auf die Pfarrkirche St. Peter und Paul

Als wir an der Kirche ankommen, betreten wir den Friedhof und lassen dort in aller Ruhe unsere Gedanken kreisen. Ich versuche mir vorzustellen, wie das damals wohl ausgesehen haben muss, als hier die Grabsteine umgelegt und die Passion gefeiert wurde.

Grabsteine auf dem Friedhof vor der Kirche
Nordseite des Friedhofs der Pfarrkirche St. Peter und Paul

Hinter den Friedhofsmauern, über den Kreuzen erhebt sich würdevoll der Kofel. Es wirkt fast so als ob er schützend seine Arme um Oberammergau und seine Bewohner legt.

Grabsteine vor der Friedhofsmauer und dem Kofel
Blick vom Friedhof der Pfarrkirche St. Peter und Paul auf den Kofel

Bald stehen wir wieder vor dem Hotel Alte Post und sind somit wieder an dem Punkt, an dem Lesung und Wanderung ihren Anfang genommen. Wir gönnen uns noch ein Eis, schlendern langsam die Dorfstraße entlang und genießen die Atmosphäre von Oberammergau. Es war ein wunderbarer und inspirierender Ausflug! Wir haben so viel Neues gesehen und gelernt! Ich bin sehr dankbar für diese Erlebnisse und kommentiere später noch einen Beitrag von Oliver Pötzsch über den heutigen Tag auf Facebook. Mit diesem Kommentar möchte ich diesen Blog-Betrag gerne beenden:

Vielen herzlichen Dank lieber Oliver Pötzsch für diese wunderbare Wanderung heute Nachmittag! Es hat uns viel Spaß gemacht, durch Geschichte und Geschichten zu wandern. Wir finden es immer wieder faszinierend, was man vor der eigenen Haustür alles erleben und lernen kann.

Wenn Du mehr über Oliver Pötzsch, seine spannenden Vorfahren, seine Bücher und Veranstaltungen erfahren will, dann besuche am besten seine Internetseite. Ebenfalls zu empfehlen ist seine Facebook-Seite. Dort teilt er gerne Impressionen seiner Wanderungen und Reisen und zeigt auch seine musikalischen Talente. Und wenn Du Dich mit Jakob, Magdalena uns Simon auf die Spur des Mörders um Oberammergau begeben möchtest, dann besorge Dir Dein eigenes Exemplar von „Die Henkerstochter und das Spiel des Todes“ und tauche in diese spannende Geschichte ein.

Fotos: Tim Kalbitzer

Ursprünglich veröffentlicht am 26.05.2020, aktualisiert am 23.06.2020.

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